Früher war alles besser…
Ein Ausspruch, den ich schon als Kind gehasst habe. Ich glaube, jede Generation hat so ihre eigene Definition von „früher“ und „besser“.
In meiner Kindheit war früher wirklich früher. Also so richtig lang früher. Der Terminus „früher“ implizierte bei mir die Zeitspanne von mindestens zwei Jahrzehnten. „Besser“ ist relativ zu gut, was aber gut ist und was schlecht, hängt neben vielen anderen Faktoren auch davon ab, wo und in welchem Umfeld man aufwächst und welchem Geschlecht man sich zurechnet. Ich bin in den 1970ern geboren, bei mir waren „früher“ mindestens die 50er oder 60er. Und das war wirklich „früher“! Kein Farb-TV, Telefon nur in wenigen Haushalten, Radiosender gab es vielleicht ein bis zwei nationale, von Privatradio und -fernsehen war da noch lange keine Rede. Mit Freunden hatte man sich somit bei einem Treffen persönlich für das nächste verabreden müssen, wenn dann einer nicht kam, hatte er (oder der andere) eben Pech. Das kam allerdings selten vor – und wenn, dann waren die Eltern schuld, weil sie es – warum auch immer – verboten hatten.
Es gibt viele Powerpoint-Folien und Youtube-Videos da draussen, die genau das zum Inhalt machen – dass früher alles besser war als heute.
Ich habe mir mal einige Gedanken gemacht, ob denn früher wirklich alles besser war als heute und zeige die Unterschiede auf, ohne mich dabei auf eine Altersgruppe festzulegen. Welche Auswirkungen unser gesellschaftliches Verhalten heute auf unsere sozialen Kontakte hat – das ist ein anderer Artikel…
Beginnen wir mal also mit einer Aufzählung typischer Gegenstände und Services, die man heute so zur sozialen Kommunikation verwendet. Typische Alltags-„Gegenstände“ sind zB:
Smartphones
- iPhones
- Android-Phones
- Blackberrys
- Windows-Phones
Tablets
- iPads
- Android-Tablets
- andere
Spielkonsolen
- XBox (360, one)
- Playstation (1, 2, 3, 4, Portable)
- Nintendo (Wii, DS, 3DS, etc.)
Zu den typischen Services zählen:
Internet
- Snapchat
- Youtube
- Wikipedia
- Yelp
- kik
- etc.
Als Gegenüberstellung hier mal typische Alltagsgegenstände (also echte Gegenstände), die ich so in meinen Teenagerjahren verwendet habe:
- Viertel-Telefon (4 Anschlüsse teilen sich eine Festnetzleitung (Festnetz = Mobiltelefon mit Kabel zur Wand, ähnlich eines Ladekabels))
- Telefonzelle (in meinen späteren Teenagerjahren dann sogar schon mit Guthabenkarte)
Zu den typischen Services zählten:
- Telefonbuch (die Telefone besaßen damals noch keine Speicherfunktion)
- Gelbe Seiten (Branchenbuch, zum Auffinden von zB. Restaurants in der Umgebung)
- Enzyklopädien (falls man mal etwas nicht wissen sollte oder die Recherche für ein Referat im Raum stand)
- Fundbüro (für verlorene Schlüssel, Jacken etc. (ja, das kam öfter vor))
- Videothek (späte Teenagerjahre, setzte einen Fernsehapparat voraus, am besten mit Farbbildschirm)
- Post (zum Aufgeben und Abholen von Briefen, den Vorgängern der heutigen eMails)
- Freunde (für alles andere)
Man merkt hier schon, dass in meinen Teenagerjahren die Services etwas weniger technologisch angehaucht waren – echte Gegenstände eben. Jede neue Funktion, sei sie aus heutiger Sicht auch noch so lachhaft, war damals DIE Sensation – nicht nur innerhalb der Familie, sondern überall. Um die Relation früherer technologischer Sensationen mal bildlich darzustellen: die Computer an Bord der für die erste Mondlandung verwendeten Landefähre hatten weniger Rechenpower und Leistung als heute in einem gängigen Smartphone steckt, das in unseren Breitengraden nahezu jedes Kind sein Eigen nennt. Noch ein Vergleich gefällig? Ein Computer mit einer Speicherkapazität von enormen 10 Megabyte (kein Tippfehler, ich meine wirklich Megabyte) kostete damals öS 68.400,- (öS= Schilling), 1:1 umgerechnet (also Inflation nicht berücksichtigt!) wären das heute etwa € 4.970,-. Wohlgemerkt sprechen wir hier vom Jahr 1984, also meiner Jugend (ich war 12 zu diesem Zeitpunkt).
Apple hat im diesem Jahr – um genau zu sein am 24.01.1984 – den Macintosh auf den Markt gebracht. Der Preis für den Mac waren damals etwa 3.500,- Dollar. Lachhafte 400 Kilobyte (auch 0,4 Megabyte oder 0,004 Gigabyte) umfasste die Festplatte im Lieferzustand. Umgerechnet sind das etwa ein Zwanzigstel eines Fotos, das man heute in guter Qualität auf einem durchschnittlichen Smartphone schießt. Ebenfalls im Jahr 1984 passiert sind folgende Dinge:
- die CD-Rom kam auf den Markt (CDs für den Gebrauch im Musikbereich gab es schon 3 Jahre früher)
- Fujio Masuoka erfand, als er bei Toshiba arbeitete, den Flash-Speicher, der heute in jedem USB-Stick zu finden ist (und in vielen anderen Geräten)
- William Gibson veröffentlicht den Roman “Neuromancer” (Teil einer Trilogie) und prägt darin den Begriff “Cyberspace”
Weil wir gerade dabei sind: 1989 war auch ein tolles Jahr. Apple präsentierte seinen ersten Laptop, der mit etwa 8 Kilogramm und einem Preis von 6.500,- Dollar nicht nur schwer in der Hand, sondern auch schwer auf der Brieftasche lag. Auch der Nintendo Gameboy erblickte in diesem Jahr das Licht der Welt. Im Jahr darauf erreichte das Handy den durchschnittlichen Käufer. Ich erinnere mich noch gut daran, als ich mit meinem ersten Koffer-großen Mobiltelefon (etwa 4 kg) im Auto die Südautobahn zwischen Wien und Wiener Neustadt auf und ab fuhr und jeden der mir einfiel anrief, um mit meinem Autotelefon zu prahlen. Zur Stromversorgung musste ich das Telefon mit selbstverlegten Kabeln direkt an die Autobatterie anschließen. Die Strecke entlang der A2 zwischen Wien und Wiener Neustadt war damals auch die einzige, auf der man unterbrechungsfrei im Auto telefonieren konnte. Dieser Spaß kostete mich im ersten Monat die Kleinigkeit von 5.000 Schilling (knapp 360,- Euro) an Telefonkosten. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) war ich der King unter meinen Freunden 😉
Gerade die 80er-Jahre haben viele Grundsteine dafür gelegt, was wir heute als selbstverständlich betrachten.
Wenn man bedenkt, dass Facebook zwar 2004 gegründet, aber erst im Jahr 2006/2007 die europäischen Nutzer erreicht hat, ist es schon sehr beachtlich, was dieses Netzwerk in knapp 16 Jahren zustande gebracht hat. Auch das erste iPhone (und damit eigentlich auch generell das Smartphone, wie wir es heute kennen) gibt es erst seit dem Jahr 2006!
Viele meiner Altersgenossen regen sich über die heutige Jugend auf, vergessen dabei aber, dass sie selbst der Generation angehören, der all diese heutigen Tools, Spielereien und Gimmicks zu verdanken ist. Heute 13-jährige waren im Gründungsjahr von Facebook noch nicht mal geboren, mit dem iPhone selbst teilen sie sich zumindest das Geburtsjahr…
Der Ausspruch “Früher war alles besser” hat für mich persönlich kein Gewicht. Meiner Meinung nach müsste er eher “Früher war alles anders” lauten. Das entspricht nicht nur eher der Realität, sondern relativiert auch die Zeitspanne, die man als “Früher” bezeichnet.
Mich würde mal – egal von welcher Altersgruppe – interessieren, welche Erlebnisse, Erfahrungen oder Erinnerungen andere in die Rubrik “Früher war alles besser” einordnen würden…